„ZUSAMMEN:HALT“ (von Jan Gildemeister, Bonn)
Zusammenhalt fördern – ‚Halt‘ rufen bei den Ursachen von Unfrieden
Das Motto der Ökumenischen FriedensDekade 2022 „ZUSAMMEN:HALT“ verbindet verschiedene politische Frage- bzw. Aufgabenstellungen. Während wir eine verstärkte Fragmentierung unserer Gesellschaft, aber auch der Weltgemeinschaft erleben, nehmen die zu bewältigenden Probleme auf nationaler wie internationaler Ebene zu. Um die zentralen Herausforderungen, die weltweite soziale Ungerechtigkeit, die zahlreichen gewalttätig ausgetragener Konflikte und die Zerstörung der Schöpfung bewältigen zu können, braucht es zum einen Zusammenhalt, ein allgemeines Problembewusstsein und ein solidarisches Handeln. Und es braucht ein unüberhörbares „HALT!“. Denn es ist notwendig, bestehende strukturelle Ungerechtigkeiten zu beenden, das maßlose internationale Aufrüsten zu unterbinden und der Umweltzerstörung Einhalt zu gebieten.
Gesellschaftlichen Zusammenhalt durch konstruktive Konfliktbearbeitung fördern
Für ein friedliches Zusammenleben braucht es Zusammenhalt. Konflikte können zum Spaltpilz werden, vor allem, wenn sie von Populist*innen und Rechtsradikalen angeheizt werden, um die Demokratie auszuhöhlen. In Deutschland gibt es verschiedene Konfliktlinien. Strittig ist der richtige Umgang mit Geflüchteten und Migrant*innen, der Umgang mit aufgrund von Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder anderer Merkmale diskriminierten Gruppen. Damit verbunden geht es auch um die Macht „weißer älterer Männer“, um Ausgrenzung bzw. Inklusion und Partizipation. Andere Konflikte betreffen den Umweltschutz und den Umgang mit der Klimakrise: Wo dürfen Windräder stehen, werden Strom- oder Bahntrassen gebaut? Sind wir im „globalen Norden“ bereit, unseren Ressourcenverbrauch und unseren CO2-Ausstoß massiv zu reduzieren, mit den damit verbundenen Konsequenzen für Gesellschaft, Wirtschaft und jede*n Einzelne*n von uns? Und schließlich hat die COVID-19-Pandemie nicht nur bestehende soziale Defizite stärker ins Bewusstsein gebracht, sondern auch die Fragmentierung unserer Gesellschaft befördert.
Konflikte (und deren Ursachen) zu ignorieren oder zu verschleiern führt zumeist dazu, dass sie früher oder später eskalieren – eine Erfahrung, die wir auch im Alltag machen. Darum ist es wichtig, einen konstruktiven Umgang mit Konflikten zu finden, sie gemeinsam zu bearbeiten und zu transformieren. Während es „im Kleinen“ bereits etablierte Instrumente gibt – beispielsweise bei der außergerichtlichen Mediation oder durch Streitschlichter*innen-Programme in Schulen –, kommen bei gesellschaftlichen oder internationalen Konflikten etablierte Strukturen und demokratische Institutionen an ihre Grenzen und es fehlen vielfach geeignete Programme oder die Anerkennung und finanzielle Förderung vorhandener Instrumente.
Die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) setzt sich mit Mitgliedern und befreundeten Organisationen und in der Ökumenischen FriedensDekade (ÖFD) dafür ein, dass zivile Instrumente der Konfliktbearbeitung auch im Inland ein eigenständiges und besser gefördertes Arbeitsfeld werden. Basierend auf erfolgreichen Projekten beispielsweise in der Kommunalen Konfliktbearbeitung sollten das vorhandene Knowhow stärker genutzt sowie die entsprechenden Methoden breiter eingesetzt werden. Ein zentrales Element ziviler Konfliktbearbeitung ist dabei immer, die Beteiligten mit ihren Interessen und Sichtweisen aktiv in die Suche nach Lösungswegen zu beteiligen. Für ihren Erfolg ist es zudem unabdingbar, von staatlicher Seite die von den Betroffenen erarbeiteten Vorschläge zur Konfliktbearbeitung und zur Beseitigung der Konfliktursachen zu berücksichtigen und ernst zu nehmen.
Kooperation und zivile Konfliktbearbeitung weltweit!
Um den Zusammenhalt in der Welt ist es nicht gut bestellt. Viele Krisen verschärfen sich, nationaler Egoismus und kriegerisch ausgetragene Konflikte nehmen zu. Bemühungen um intensivere Kooperationen, Versöhnung, Abrüstung und eine Stärkung internationaler Institutionen wie den Vereinten Nationen haben es schwer. Die neue Koalitionsregierung will sich zwar weltweit für mehr Kooperation und Abrüstung einsetzen, doch es ist mehr als enttäuschend, dass in den Koalitionsvereinbarungen viel über die Bundeswehr und deren Aufrüstung geschrieben steht, der Zivile Friedensdienst (ZFD) hingegen noch nicht einmal Erwähnung findet. Dieses staatlich finanzierte Instrument zur zivilen Konfliktbearbeitung geht auf eine vor 30 Jahren als Konsequenz aus dem damaligen Jugoslawienkrieg gestartete zivilgesellschaftlich und kirchlich getragene Initiative zurück. Bei allen Fortschritten und verbesserter finanzieller Ausstattung des ZFD, die es seit seiner Gründung gab, fehlt offenbar weiterhin der politische Wille, Maßnahmen der Krisenprävention und der zivilen Konflikttransformation Vorrang vor einem militärischen Sicherheitsdenken einzuräumen.
Ursachen des Unfriedens politisch bekämpfen
Angesichts der massiven Fehlentwicklungen weltweit, von der Umweltzerstörung bis zur erneut zunehmenden Armut in vielen Ländern der Welt, ist eines offensichtlicher denn je: Es kann nicht so weitergehen wie bisher. Die Aufrüstung muss beendet, die soziale Ungerechtigkeit als Hindernis für den gesellschaftlichen Zusammenhalt massiv abgebaut und die Ursachen der Klimakrise müssen zeitnah bekämpft werden. Es braucht einen breit getragenen Ruf nach einem „Halt“, einem „so nicht mehr“ – und ein anderes Handeln.
Progressive soziale Bewegungen verbinden ihr Handeln für eine bessere Welt mit einer vielfältigen, offenen und demokratisch strukturierten Gemeinschaft der Aktiven. Die (neuere) Friedensbewegung ist Anfang der 1980er Jahre als Protestbewegung gestartet. Millionen Menschen haben sich Initiativen angeschlossen oder neue gegründet und angesichts der damaligen nuklearen Aufrüstung laut „Halt“ gerufen. Die Verbindung kommt in den letzten beiden Strophen des bekannten Liedes „Sieben Tage lang“ der niederländischen Musikgruppe Bots, deren Texte nach einem Auftritt beim Festival „Rock gegen Rechts“ im Juni 1979 auch ins Deutsche übersetzt wurden, beispielhaft zum Ausdruck: „Jetzt müssen wir streiten, keiner weiß wie lang. Ja für ein Leben, ohne Zwang. Dann kriegt der Frust uns nicht mehr klein. Wir halten zusammen, keiner kämpft allein. Wir gehen zusammen, nicht allein.“
Protest und Widerstand entfalten nur solidarisch mit anderen ihre Wirkung. Dabei sollte immer leitend sein, was gesamtgesellschaftlich und auch weltweit (weitgehend) ein Grundkonsens ist: die Einhaltung von Menschenwürde, die Nächsten- und auch Feindesliebe einschließt, die Bewahrung von Menschenrechten, von Partizipationsmöglichkeiten, gegenseitigem Respekt und demokratischen Regeln. Dafür ist unabdingbar: Pauschalisierung und Feindbilder sind kontraproduktiv und abzulehnen, die Diskriminierung Andersdenkender muss überwunden werden und destruktives „Rechthaben-Wollen“ ist alles andere als zielführend. Unrecht muss zwar als Unrecht und auch Täter*innen müssen benannt werden, aber „der Ton macht die Musik“. Gewalt, Lügen oder Verleumdungen dürfen nicht Mittel zur Erreichung eines (angeblich) guten Zwecks werden, wie wir es insbesondere bei rechtspopulistischen Strömungen erleben.
Unsere Gesellschaft, ja die ganze Menschheit braucht dringend Zusammenhalt, damit sie überleben kann. Dafür bedarf ehrlichen Dialog und Verständnis füreinander; zivile, konstruktive Konfliktbearbeitung bietet dafür Methoden und Instrumente. Zugleich aber braucht es Protest, gewaltfreien Widerstand und politische Lobbyarbeit überall dort, wo soziale Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung mit Füßen getreten werden. Beides, Zusammenhalt und der politische Streit, sind Kernanliegen der AGDF, ihrer Mitgliedsorganisationen und der Ökumenischen FriedensDekade mit dem Ziel, Frieden für alle nachhaltig zu gestalten.
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Jan Gildemeister ist Vorsitzender des Ökumenischen FriedensDekade e. V. und Geschäftsführer der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) mit Sitz in Bonn