Weisheit ist besser als Kriegswaffen (von Dr. Marc Witzenbacher)
Das biblische Buch des Predigers spricht mir an vielen Stellen aus dem Herzen. „Alles hat seine Zeit“ (Pred 3,1) erinnert mich daran, den Augenblick zu genießen und in düsteren Momenten nicht die Hoffnung zu verlieren. Lebenspraktisch und hilfreich sind die gesammelten Sprichwörter, manchmal auch schwierig und provokativ. Doch immer geben sie mir etwas zum Nachdenken mit auf den Weg. Hängen geblieben bin ich dieser Tage an Pred 9,18: „Weisheit ist besser als Kriegswaffen; aber ein einziger Bösewicht verdirbt viel Gutes.“
Weisheit meint in den Texten des Alten Testaments das Bemühen, die Wirklichkeit zu ordnen, zu erfassen und zu erklären und sich so in dieser Welt zurechtzufinden. Wer weise ist, weiß um die Regeln, nach denen das Leben abläuft. Wer diese Regeln kennt und beachtet, dem gelingt das Leben. Wer die Regeln bricht, gefährdet nicht nur sich selbst, sondern auch seine Umwelt. Weise zu handeln ist nach der Überzeugung des Predigers immer besser, als Waffen zu schmieden und eine kriegerische Lösung von Konflikten erreichen zu wollen. Weisheit weiß um die Bedürfnisse des anderen, sie ist besser als Stärke (Pred 9,16), ja sie erhält das Leben (Pred 7,12).
Doch ähnlich wie es der Prediger in den ersten Kapiteln des Buches wahrnimmt, ist der Blick in die gegenwärtige Situation eher ernüchternd. Man zählt nicht auf die Weisheit, sondern mehr auf die Kriegswaffen. Höhere Rüstungsausgaben werden gefordert, die Kriegs- und Tötungstechnik immer mehr verfeinert. Nimmt man den Tun-Ergehens-Zusammenhang, der in der weisheitlichen Literatur aufgestellt wird, ernst, dann schlägt diese Aufrüstung direkt auf den Menschen zurück: „Die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen“ (Mt 26,52). Eine steigende Aufrüstung vergrößert die Gefahr eines Krieges. Und je mehr die Rüstungsindustrie sich auf einen Krieg 3.0 präpariert, desto wahrscheinlicher wird es, dass ein solcher Krieg auch ausbrechen kann. So einfach ist es und dabei ebenso bedrohlich.
Vor einer solchen realen Gefahr warnt auch der Prediger, wenn er dem einzigen Bösewicht die Vernichtung des Guten zuschreibt. Wir wissen heute darum, wie schnell die Emotionsausbrüche eines Machthabers zu blutigen Konsequenzen für viele Menschen führen können. Wer sich nicht von der Weisheit leiten lässt, verfällt rasch in eine Spirale von Aktion und Reaktion, von Hass und Gewalt. Wir leben immer noch auf einem Pulverfass. Es ist also an der Zeit, wieder mehr Weisheit zu lernen und ihr mehr zuzutrauen als allen Waffensystemen. Unsere Welt braucht die Weisheit, um in Frieden leben zu können. Weisheit könnte beispielsweise bedeuten, friedliche Konfliktlösungen auszubauen und diese auch in den aktuellen Krisenherden dieser Welt einzusetzen. Weise ist, wer auf Atomwaffen verzichtet und aus der Aufrüstungsmaschinerie aussteigt. Weise kann es sein, den Weg zueinander zu suchen und auf Gespräch und Diplomatie zu setzen. Weisheit bedeutet, das Geld für die Erhaltung des Lebens und nicht für dessen Zerstörung auszugeben.
Die FriedensDekade 2018 regt dazu an, mehr Weisheit zu wagen und die Gefahren deutlich beim Namen zu nennen, zu denen eine weisheitsferne Politik führen kann. Alles hat seine Zeit. Jetzt ist die Zeit, aufzustehen und für die Weisheit einzutreten. Denn „der Weisen Worte, in Ruhe vernommen, sind besser als des Herrschers Schreien unter den Törichten“ (Pred 9,17).
Dr. Marc Witzenbacher
Referent der Evangelischen Kirche in Deutschland
und Referent für Öffentlichkeitsarbeit in der ACK – Ökumenische Zentrale