Ein Stein auf meinem Herzen (von Berthold Keunecke, Herford)
Ein Stein auf meinem Herzen. Der Krieg in der Ukraine belastet mich, auch wenn ich das Geschehen jetzt oft genug verdränge.
Jeden Tag die Bilder von Zerstörung, von entwurzelten Menschen, von Trauer und Leid im Fernsehen – so oft verbunden mit der Meinung: Wenn wir mehr Waffen liefern, wird es besser. Das Vertrauen, dass die Waffen Seite Frieden bringen, wenn sie von der richtigen Seite eingesetzt werden, scheint übermächtig. Jeden Tag Karfreitag. Und dann mein Wissen: Auf dieser Stufe der Eskalation können die direkt Konfliktbeteiligten nicht mehr zurück. Sie haben konfliktpsychologisch keine andere Möglichkeit mehr, als auf Eskalation zu drängen, bis zum Untergang. Dem eigenen, des anderen oder – wahrscheinlich – von beiden. Gemeinsam in den Abgrund heißt die letzte der Konfliktstufen nach Prof. Friedrich Glasl. Da wir gerade Kriegspartei werden, stecken wir mit drin. Wir hoffen alle, dass der verrückte Putin nicht so verrückt ist, dass er Atomwaffen einsetzt, wenn seine anderen militärischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Das ist schon kein Stein mehr auf meinem Herzen, es ist ein Felsbrocken.
Aber der Stein ist ins Rollen gekommen. Zu Ostern scheint ein Licht im dunklen Grab. Engelsgleiches Licht. Unwirklich, aber da. Jedes Gespräch, bei dem ich spüre, dass auch noch anderen Menschen so denken wie ich, macht mir Mut. Ein Irrsinn, zu glauben, dass das in Washington, in Kiew oder in Moskau ankommen könnte. Aber trotzdem. Es brennt ein kleines Licht.
“Brannte unser Herz nicht vor Begeisterung, als er unterwegs mit uns redet und uns die Heilige Schrift erklärte?” Das sagen die Emmausjünger. Sie sind Jesus begegnet. Sie sind mit ihm gegangen. Er hat ihnen erklärt, dass das Leid seinen Sinn hat – den Sinn, dass das Leid beendet wird. Durch die Kraft der Liebe. Weil die Liebe letztlich stärker ist. Er war bei ihnen. Sie haben es nur nicht gemerkt. Brannte nicht mein Herz, als ich von meinen Sorgen erzählte? Brannte nicht mein Herz, als ich hörte, wie Russlanddeutsche sagen: Wir sind doch eigentlich Brüder in Russland und der Ukraine? Brannte nicht mein Herz, als ich zufällig in einem Büro über meine Sorgen sprechen konnte und auf so viel Verständnis stieß?
Wenn wir zusammenkommen, wenn wir einander zuhören, wenn wir die Liebe anstatt der Gleichgültigkeit gegenüber den Kollateralopfern wirken lassen – dann kommt der Stein ins Rollen, dann brennt ein kleines Licht.
Gott, lass du dein Osterlicht leuchten unter uns – schenkt uns den Mut der Liebe angesichts des Leids und der Gewalt. Gib uns die Kraft, zusammen “Halt”! zu sagen. Amen.
Berthold Keunecke, Ev.-Luth. Emmauskirchengemeinde, Herford, Mitglied im Gesprächsforum der Ökumenischen FriedensDekade