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28. Juni 2022

“Lebenssatt” (von Dr. Dorothee Godel, Hannover)

Von  Dr. Dorothee Godel (Juni 2022)

Lebenssatt und alt zu sterben, das würde man eigentlich allen Menschen wünschen. So, wie es von Abraham berichtet wird: „Und Abraham verschied und starb in einem guten Alter, als er alt und lebenssatt war, und wurde zu seinen Vätern versammelt. Und es begruben ihn seine Söhne Isaak und Ismael in der Höhle von Machpela […]. Da ist Abraham begraben mit Sara, seiner Frau.“ (Gen 25,8-10)

Alt und lebenssatt sterben zu dürfen – was für ein Segen. Das Leben ausgekostet in seiner gottgeschenkten Fülle, mit dem ein oder anderen Belastenden, alles in allem aber mit großer Zufriedenheit. Das wäre eigentlich allen Menschen zu wünschen. Die Wirklichkeit – wir wissen es alle – sieht oft anders aus. Menschen in der Lebensmitte, junge Menschen, Kinder sterben: an Krankheiten, durch Unfälle, durch Gewalt. In der Ukraine sterben sie aufgrund des russischen Angriffskrieges gerade täglich: junge Leute, Alte, Kinder, schwangere Frauen und Familienväter – noch lange nicht lebenssatt.

Der Resignation nahe zermartern wir uns die Köpfe, was wir dagegen tun können. Waffen zur Verteidigung liefern, Wege des Dialogs offenhalten, Kosten-Nutzen-Rechnungen des Angreifers verändern.

Widerständig hoffend fragen wir uns aber auch, was wir dagegensetzen, was wir dagegenhalten können. Denn – auch wenn Hoffnung und Visionen vielfach nur belächelt werden – ohne Hoffnungsbilder, ohne Ziele kann man keine Perspektiven für eine gute Zukunft entwickeln und scheinbar unüberwindbaren Realitäten – Krieg, Zerstörung, Angriffen auf die Menschlichkeit – etwas entgegensetzen.

Wir müssen uns also auf die Suche machen. Auf die Suche nach Bildern, Zielen, Visionen oder Hoffnungen, die wir der Realität des Krieges in der Ukraine entgegensetzen können: Wie kann und soll die Welt aussehen, auf die wir zu-hoffen und zu-leben?

Für mich gehört zu diesen Bildern und Zielen diese große alte Hoffnung und Vision: dass Menschen – alle Menschen – alt und lebenssatt sterben können: Das Leben ausgekostet in seiner gottgeschenkten Fülle, mit dem ein oder anderen Belastenden, alles in allem aber mit großer Zufriedenheit.

Das setzt ein friedliches, nachbarschaftliches menschliches Miteinander voraus. Statt Feindbildern und Eroberungswahn: Ausgleich und Versöhnung. Gemeinsam verantwortete Sicherheit und Frieden. Verlässlicher Zusammenhalt über Verletzungen und Grenzen hinweg.

In Blick auf die Ukraine scheint das in weiter Ferne. Und doch möchte ich die Hoffnung nicht aufgeben, dass all das eines Tages auch wieder für die Menschen in der Ukraine möglich sein wird. Ein Detail der Beschreibung des Begräbnisses Abrahams lässt mich da besonders hoffen: Isaak und Ismael – die beiden gegensätzlichen, konkurrierenden, gegnerischen Söhne – begraben den alt und lebenssatt gestorbenen Vater gemeinsam, offensichtlich in Trauer und Gedenken vereint.

OKR.in Dr. Dorothee Godel, Theologische Referentin für Fragen öffentlicher Verantwortung im Kirchenamt der EKD in Hannover, Mitglied im Gesprächsforum der Ökumenischen FriedensDekade

 

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