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Schlagwort: Bundeskanzler Merz

Wehrpflicht oder Friedenspflicht?

Ein Kommentar von Lars Blume zur aktuellen Debatte

Die Diskussion ist zurück: Braucht Deutschland eine neue Wehrpflicht? In einem vielbeachteten Streitgespräch „Wir müssen über die Wehrpflicht reden – jetzt!“ in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 13. Juli 2025 treffen zwei Positionen aufeinander. Arthur Kießling, 22 Jahre alt, plädiert für einen verpflichtenden gesellschaftlichen Dienst mit militärischer Option. Johannes Zerger, 64 Jahre alt, ehemaliger Zivildienstleistender, warnt eindringlich vor den gesellschaftlichen und menschlichen Konsequenzen. Ihre Argumente gehen über sicherheitspolitische Fragen hinaus. Sie fordern uns heraus, Frieden neu zu denken.

Das Gespräch beginnt mit einer klaren Haltung: Zerger, geprägt durch persönliche und familiäre Erlebnisse vergangener Kriege, lehnt verpflichtenden Wehrdienst ab. Für ihn steht das Selbstbestimmungsrecht im Zentrum. Krieg bleibt menschliches Leid. Kießling hingegen schaut auf die Zukunft Europas: für ihn sind Wehrpflicht oder neue Dienstmodelle Mittel zur Abschreckung und Durchhaltefähigkeit.

Beide Stimmen spiegeln die Debatte wider, die durch dem Bundesverteidigungsminister Pristorius in der Regierung Scholz mit einem „freiwilligen Wehrdienst“ begann, sich unter der Regierung Merz jedoch zunehmend verschärft. Merz hat mehrfach betont, dass allein Freiwilligkeit nicht genügt und dass „we’ll do whatever it takes“ – sogar auf Kredit – investiert wird, um Deutschlands Wehrfähigkeit auszubauen. Ausgaben für Verteidigung und bestimmte sicherheitspolitische Ausgaben ab einer bestimmten Höhe sollen künftig nicht mehr auf die Schuldenregel des Grundgesetzes angerechnet werden. (Bundestag.de 18.03.2025) Zusätzlich soll ein Modell gesetzlich verankert werden, das Pflichtdienste ermöglicht.
(Tagesschau vom 23.06.2025

„Angesichts der Bedrohungen unserer Freiheit und des Friedens
auf unserem Kontinent muss jetzt auch  für unsere Verteidigung gelten: Whatever it takes.“ – Friedrich Merz (ZDFheute 05.03.2025)

Genau dieser Wechsel im Narrativ ist entscheidend: eine Regierung, die bereit ist, Milliarden in Waffen und Personal zu investieren, deren Duktus in Richtung Rüstung statt Frieden geht, fordert uns heraus, genau hinzusehen und zu fragen: Was schützt uns wirklich?

Hinhören statt Hochrüsten

„Wir müssen über Wehrpflicht reden. Jetzt.“ So lautet Kießlings Appell. Angesichts zunehmender Spannungen mit Russland, einer unterbesetzten Bundeswehr und dem Gefühl, dass seine Generation mit zu viel Verantwortung allein gelassen wird, hält er einen verpflichtenden Dienst für notwendig. Zerger hält dagegen: Krieg ist niemals abstrakt. Er bedeutet Blut, Schweiß, Schmerz und Tod. Sein Vater, zweimal verwundet im Zweiten Weltkrieg, überlebte nur knapp. Die Erfahrung prägte seine Familie. Daraus erwuchs ein tiefes Nein zu jeder Form von Dienst, der Menschen gegen ihren Willen in Uniform zwingt.

Gerade in dieser Auseinandersetzung wird deutlich, wie dringend wir wieder Räume brauchen, in denen unterschiedliche Meinungen respektvoll nebeneinander stehen dürfen. Eine konstruktive Streitkultur ist Teil unserer demokratischen Verantwortung. Sie schützt uns davor, militärische Lösungen als alternativlos darzustellen. Statt Hochrüstung brauchen wir eine Kultur des Zuhörens, des Zweifelns, des Suchens. Denn: Frieden beginnt mit dem Gespräch. Und endet dort, wo Menschen zum Mittel militärischer Macht werden.

Was uns dieser Dialog lehrt

Dieses Streitgespräch offenbart eine seltene Qualität: Es ist keine Show, kein Aufrechnen von Parolen sondern ein ehrlicher Versuch, einander zu verstehen. Genau das ist Friedenskultur: Zuhören, Argumente prüfen, Positionen hinterfragen. Demokratie lebt von der Auseinandersetzung, vom Prüfen der Argumente und vom Mut, die eigene Haltung zu hinterfragen.

Auch in der Bibel begegnet uns die Spannung zwischen Freiheit und Sicherheit. Freiheit ist ein Geschenk. Sie ist jedoch kein Freibrief für Gewalt. Biblischer Frieden meint mehr als die Abwesenheit von Krieg. Er bedeutet Gerechtigkeit, Verantwortung und Respekt vor jedem einzelnen Leben. „Ich danke dir, dass ich wunderbar gemacht bin“, heißt es im Psalm 139. Und Paulus schreibt im Galaterbrief: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.

Und er beginnt dort, wo wir uns daran erinnern: Der Mensch steht im Zentrum. Jeder Soldat ist Sohn oder Tochter, Vater oder Mutter. Mensch. Und jedes Leben ist kostbar. In der jüdisch-christlichen Tradition steht klar: „Du sollst nicht töten.“ (2. Mose 20,13). Gewalt darf niemals zur selbstverständlichen Option werden.

Frieden gestalten mit Herz und Haltung

Johannes Zerger fordert, über Alternativen zu sprechen. Ziviler Friedensdienst, Bildungsarbeit, Freiwilligendienste – all das sind Räume, in denen Frieden wachsen kann. Nicht durch Pflicht, sondern durch Überzeugung. Nicht durch Waffen, sondern durch Begegnung.

Auch Arthur Kießling bringt eine wichtige Perspektive ein. Viele junge Menschen fühlen sich überfordert von globalen Krisen und gesellschaftlicher Verantwortung. Auch das sind Stimmen, die gehört werden dürfen.

Doch das Gefühl der Ohnmacht darf uns nicht zu kurzfristigen Reaktionen treiben. Ein verpflichtender Dienst, wie auch immer er ausgestaltet wird, darf nicht zum trojanischen Pferd einer mentalen Kriegstüchtigkeit werden. Sprache schafft Wirklichkeit und Begriffe wie „wehrtüchtig“ oder „Verteidigungsfähigkeit“ zeigen, wie tief die Denklogik von Bedrohung und Gewalt längst wieder salonfähig ist.

Wir dürfen nicht vergessen: Krieg ist kein Mittel gegen Angst. Er schafft neue Wunden. Dialog dagegen heilt. Und Zuhören öffnet Räume.

„Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ (Matthäus 5,9)

Frieden braucht viele Stimmen. Viele Wege. Und das Vertrauen, dass Sicherheit mehr ist als Abschreckung – sie beginnt mit Beziehung, mit Herz und Haltung.

Gemeinsam für eine Kultur des Friedens

Stellen Sie sich vor: Jeder Mensch, der diesen Text liest, führt ein Gespräch. Mit Freund*innen, in der Gemeinde, im Schulunterricht. Über Krieg und Frieden, über Wehrpflicht und Würde. Über das, was wir wollen – und was wir niemals wieder zulassen dürfen.

Begleiten Sie mit uns die FriedensDekade unter dem Motto „Komm den Frieden wecken“ vom 9. bis 19. November 2025 – in Schulen, Kirchengemeinden, Initiativen und im Alltag. Nutzen Sie unsere Materialien im Shop oder als Download, gestalten Sie Andachten, teilen Sie Lieder und Geschichten.

Ein besonders bewegender Impuls: das Lied „Nein meine Söhne geb ich nicht “ von Reinhard Mey & Friends. Es ist mehr als ein musikalisches Statement, es ist eine Erinnerung an das, was zählt: das Leben. Die Menschlichkeit. Und die ungebrochene Hoffnung auf eine gewaltfreie Zukunft.

Gemeinsam machen wir Frieden hörbar. Mit Stimme, Haltung und Glauben.

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