Sich ein Herz fassen – Umkehr zum Frieden
Von Pfarrerin Kathleen Niepmann
(EKD-Referentin Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland)
(pdf-Datei zum Download)
Es ist ein eindrückliches Bild von der tiefen Sehnsucht der Menschen nach Frieden, das der Prophet Micha im Alten Testament zeichnet: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“ (Micha, 4, 2 – 4). Es ist eine der schönsten Prophezeiungen für ein friedliches Zusammenleben der Kulturen und des Glaubens. Und es ist Sinnbild der jährlichen Ökumenischen FriedensDekade, die inzwischen zum 40. Mal vorbereitet wird, in diesem Jahr steht sie unter dem Motto Umkehr zum Frieden.
75 Jahre lang haben wir in unserem Land, gottlob, keinen Krieg erleben müssen. 75 Jahre alt ist auch die UN-Charta der Vereinten Nationen. Die Weltorganisation war ins Leben gerufen worden, um den brüchigen Weltfrieden und ein Leben in Demokratie besser zu sichern. Immer wieder ist mühsam darum gerungen und gestritten worden. Es ging und geht um freundschaftliche Beziehungen zwischen den Staaten und um internationale Zusammenarbeit, um Völkerrecht und Menschenrechte, um friedliche Konfliktbearbeitung und um Entwicklung, Wirtschaft und Kultur. Und längst schon ist deutlich, dass Frieden und internationale Zusammenarbeit, die Rechte künftiger Generationen und der Erhalt der natürlichen Ressourcen untrennbar miteinander verbunden sind[1].
Mehr als 30 Jahre sind nach dem Ende des Kalten Krieges vergangen. Doch wir erleben: Frieden und Demokratie, Recht und der Respekt vor dem Anderen oder Fremden sind überaus brüchig. Abschottung und Abgrenzung, autoritäres und antidemokratisches Denken erstarken. Verantwortungslose Machtpolitik und die rücksichtlose Durchsetzung eigener Interessen drohen sich durchzusetzen. Hinzukommt mit der Corona-Pandemie eine beispiellose Krise mit einem weltweiten Gesundheitsnotstand, wie es ihn bisher nicht gegeben hat. Weltweite Gegenmaßnahmen mit weitreichenden Folgen für das wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Leben sind gefordert. Das Ziel Leben zu retten, hat dabei Vorrang.[2]
Um Versöhnung und Frieden ringen
Vor diesem Hintergrund bereiten wir im Jahr 2020 die FriedensDekade vor, die in diesem Jahr vom 8. bis 18. November stattfindet und die wie jedes Jahr am Buß- und Bettag ihren Abschluss hat.
Die in den Niederlanden entstandene Idee zur Friedenswoche wurde im Jahr 1980 im damaligen West- und Ostdeutschland gleichzeitig aufgenommen. Seitdem finden sich immer wieder Menschen zur FriedensDekade, wie sie inzwischen heißt, zusammen. Alljährlich laden sie zu mehr als 4000 Veranstaltungen, Gottesdiensten und Friedensgebeten im gesamten Bundesgebiet ein. Es ist gut zu wissen, dass Menschen nicht müde werden und immer wieder offen und öffentlich für Frieden und Versöhnung eintreten.
Zwei Bibelstellen begleiten die diesjährige FriedensDekade mit ihrem Motto Umkehr zum Frieden. Aus dem Ezechielbuch im Alten Testament stammen die Sätze: „Werft von euch alle eure Übertretungen, die ihr begangen habt, und macht euch ein neues Herz und einen neuen Geist. Denn warum wollt ihr sterben, ihr vom Haus Israel? Denn ich habe kein Gefallen am Tod des Sterbenden, spricht Gott der HERR. Darum bekehrt euch, so werdet ihr leben.“ (Ezechiel 18,31f).
Das Buch Ezechiel ist unter dem Eindruck der Kriegskatastrophe, der Zerstörung Jerusalems und der Massendeportation nach Babylon im Jahr 597 vor Christus entstanden. Eindrücklich ruft Gott, so heißt es, die Menschen zur Umkehr auf. Die Sätze verschweigen Schuld nicht. Im Gegenteil, „Übertretungen“ werden genannt. Zugleich zeigen die Sätze eine Perspektive auf: „Macht euch ein neues Herz und einen neuen Geist. […] Darum bekehrt euch, so werdet ihr leben.“ Ein Appell zur Umkehr zum Leben, ein Aufruf zur Umkehr zum Frieden: „Fasst euch ein Herz.“
Von der zweiten für die FriedensDekade 2020 gewählten Bibelstelle im Neuen Testament (Römer 12, 9 – 21) seien hier nur die Schlussworte (V. 21) genannt. „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ Auch hier ein Aufruf, ein Appell. Die Autoren beider Bibelstellen scheinen zu wissen, wovon sie reden und schreiben: Versöhnung und Frieden sind nicht selbstverständlich, sie sind nicht billig zu haben. In allen Konflikten dieser Welt müssen Menschen immer wieder um Versöhnung und Frieden ringen, sich ein Herz fassen, um das Böse mit dem Guten zu überwinden. In der großen Weltpolitik wie im eigenen Alltag und Umfeld. Daran erinnern die Sätze des Ezechielbuches und aus dem Römerbrief.
Nach Neuem Ausschau halten
„Umkehr zum Frieden“: Vor dem Hintergrund der gewählten Bibelstellen verstehe ich das Motto der diesjährigen FriedensDekade im Sinn von Neuausrichtung, und nicht als Umkehr im Sinn von Rückkehr. Umkehr im Sinn von Neuausrichtung heißt sich umsehen, Ausschau nach Neuem halten, neue Wege suchen und damit auf etwas zugehen, was im Grunde schon da ist: Frieden. Ja, Gott stellt uns Christinnen und Christen in die Verantwortung. Er mutet uns zu, für Frieden und Versöhnung einzutreten und Vertrauen zu wagen. In einer Welt, die oft erschreckend ist. Immer wieder müssen wir uns ein Herz fassen, wie Ezechiel schreibt, damit wir das Böse mit dem Guten überwinden, wie es im Römerbrief steht. Dabei dürfen wir uns davon getragen wissen, dass wir das nicht allein schaffen müssen, sondern dass Gott mit uns ist.
„Die Krankheit des Krieges beenden“
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, hat im März zu einem globalen Waffenstillstand aufgerufen: „Wir müssen die Krankheit des Krieges beenden und die Krankheit bekämpfen, die unsere Welt verwüstet. Es beginnt damit, dass wir die Kämpfe überall stoppen. Und zwar sofort.“[3] Und später schrieb er: „Der Weg aus der Coronavirus-Krise muss zu einer besseren Welt führen“[4].
Als Kirchen bekennen wir uns ausdrücklich zur Demokratie des Grundgesetzes und zu einem Europa, das auf Demokratie und Recht gründet[5]. Wir wissen, dass wir selbst diesem Anspruch bis heute an vielen Stellen nicht gerecht werden. Wir wissen, dass es immer wieder Korrekturen und Neujustierungen geben muss[6]. Christinnen und Christen sind aufgefordert, sich ein Herz zu fassen, Vertrauen zu wagen, für den Frieden einzutreten und das Böse mit dem Guten zu überwinden.
Auf dem Weg der Sehnsucht nach einer besseren, gottgefälligen Welt
Dietrich Bonhoeffer formulierte: „Die Wirklichkeit Gottes erschließt sich nicht anders als indem sie mich ganz in die Weltwirklichkeit hineinstellt, die Weltwirklichkeit aber finde ich immer schon getragen, angenommen, versöhnt in der Wirklichkeit Gottes vor. Das ist das Geheimnis der Offenbarung Gottes in dem Menschen Jesus Christus“[7]
Gott stellt uns Menschen in die Verantwortung der Welt. Er lässt uns zugleich wissen: Er geht mit uns. Die Bibelstellen für die diesjährige FriedensDekade sind für mich Wegweiser, die uns die Richtung zeigen, und Geländer, an dem wir uns festhalten können. Der Weg ist holprig und mühsam. Aber es ist der Weg der Sehnsucht nach einem friedlichen Zusammenleben und nach einer besseren, gottgefälligen Welt, auf dem wir gehen dürfen. Mit der alttestamentlichen Prophezeiung des Micha im Herzen, dass Schwerter zu Pflugscharen und Spieße zu Sicheln werden und kein Volk wider das andere das Schwert erhebt.
[1] Vgl. Umkehr zum Leben. Nachhaltige Entwicklung im Zeichen des Klimawandels, Denkschrift des Rates der EKD, 2009
[2] COVID-19 und die Menschenrechte. Die Krise trifft uns alle, United Nations, April 2020
[3] https://unric.org/de/guterres-aufruf-zu-einem-globalen-waffenstillstand/
[4] Der Weg aus der Coronavirus-Krise muss zu einer besseren Welt führen, Meinungsartikel von António Guterres, veröffentlicht am 2. April 2020 auf theguardian.com
[5] Vgl. Vertrauen in die Demokratie stärken. Ein gemeinsames Wort der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland.
[6] Vgl. ebenda.
[7] Dietrich Bonhoeffer, Ethik