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27. Oktober 2022

Gilt die Friedensethik noch, wenn Völkerrecht gebrochen wird? (von Wiltrud Rösch-Metzler)

Das Völkerrecht regelt den Umgang der Staaten miteinander mit dem Ziel, den Weltfrieden zu erhalten und das Weltgemeinwohl zu stärken. Im Kriegs- und Besatzungszustand ist außerdem das humanitäre Völkerrecht, das Zivilist:innen und Soldat:innen schützt, zu beachten. Wenn es zu einem Völkerrechtsverstoß kommt, ist es Aufgabe der Weltgemeinschaft, dafür zu sorgen, dass Völkerrecht wieder eingehalten wird. In der Friedensbewegung werden Kriege und Konflikte vom Völkerrecht her beurteilt.

Der russische Angriff auf die Ukraine, die Annexion von ukrainischen Gebieten und Kriegsverbrechen sind eklatante Verstöße gegen das Völkerrecht. Leider wird Völkerrecht immer wieder gebrochen, auch vonseiten des Westens.

Das war zum Beispiel beim Nato-Angriff auf Jugoslawien im Jahr 1999 der Fall, an dem Deutschland beteiligt war, das galt auch beim Angriff auf den Irak 2003, als die USA und Großbritannien behaupteten, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen, und mit einer Koalition der Willigen, darunter die Ukraine, den Irak angriffen und besetzten. Ein anderes Beispiel ist die völkerrechtswidrige israelische Annexion Ostjerusalems und die Besiedlung des Westjordanlandes.

Auch der Beschluss des Bundestages zur Evakuierung aus Afghanistan war völkerrechtswidrig, weil er weder die Zustimmung der Taliban noch ein Mandat des UN-Sicherheitsrats hatte und damit die Souveränität Afghanistans verletzte. Jeder Bruch des Völkerrechts lässt das Völkerrecht insgesamt erodieren und trägt dazu bei, dass nicht die „Stärke des Rechts“, sondern das „Recht des Stärkeren“ zum Tragen kommt. Interessanterweise haben die Angreifer sowohl im Fall Jugoslawien als auch im Fall Irak nach ihren Alleingängen die Vereinten Nationen wieder in eine weitere Bearbeitung des Konflikts miteingebunden.

Friedensethischen Überzeugungen etwa der Kirchen geht es ebenfalls um den Weltfrieden. War man früher der Ansicht, es gebe gerechte Kriege, etwa wenn alle Möglichkeiten einer friedlichen Konfliktbeilegung ausgeschöpft sind, wird heute nach Möglichkeiten der Gewaltprävention und des Verzichts auf jegliche Gewaltanwendung gesucht. Werden zum Beispiel wirtschaftliche und politische Ungerechtigkeiten beseitigt, hilft das, Gewalt zu vermeiden, so eine wichtige friedensethische Erkenntnis.

Wird Völkerrecht gebrochen, werden friedensethische Überzeugungen keinesfalls obsolet. Die Frage, wie der Krieg beendet werden kann, um Leid und Zerstörung zu begrenzen, ist, wenn man sich als eine Menschheitsfamilie versteht, um so drängender. So appellierte Papst Franziskus am 2. Oktober an die Präsidenten Putin und Selenskyj sowie an die Weltgemeinschaft: „Wir sollten die Waffen ruhen lassen und die Bedingungen für Verhandlungen suchen, die zu Lösungen führen, die nicht mit Gewalt durchgesetzt werden, sondern einvernehmlich, gerecht und stabil sind. Und das werden sie sein, wenn sie auf der Achtung des unantastbaren Wertes des menschlichen Lebens, der Souveränität und territorialen Integrität jedes Landes sowie der Rechte von Minderheiten und legitimen Anliegen beruhen.“

In Friedensorganisationen wird ebenfalls diskutiert, wie Gewalt eingedämmt werden könnte und wie es zu diesem Völkerrechtsbruch kam. Aus ihren friedensethischen Überzeugungen heraus werden Forderungen an eine Friedenspolitik formuliert. Dazu gehören Abrüstung, Deeskalation, Kooperation und im Fall des Krieges gegen die Ukraine vor allem Waffenstillstand und Verhandlungen.

So unterstützt Pax Christi Rottenburg-Stuttgart in ihrer Heiligkreuztaler Erklärung Vorschläge aus Italien für ein Friedensabkommen mit den Komponenten Waffenstillstand, Neutralität der Ukraine, Verhandlungen über Krim und Donbass sowie multilaterale Verhandlungen innerhalb der OSZE und zwischen Russland und der Nato über regionale Sicherheitsvereinbarungen. Für die Ukraine bedeutet Sicherheit, dass auf ein Friedensabkommen keine erneuten russischen Drohungen oder Übergriffe folgen, für Russland, dass auf seinen Rückzug aus der Ukraine keine Aufnahme der Ukraine in die Nato erfolgt. USA, Europäische Union, Türkei, China und andere sollten beiden Seiten helfen, sich in einem ausgehandelten Friedensabkommen sicher zu fühlen.

Frieden ist nicht möglich, ohne dass Menschen friedensethische Überzeugungen in sich tragen wie zum Beispiel Menschenleben achten und schützen, Grundbedürfnisse respektieren, Schritte der Versöhnung gehen oder Feindbilder überwinden. Es gilt noch stärker für die Einhaltung von Völkerrecht einzutreten und Menschenrechtsverteidiger:innen und Whistleblower:innen zu unterstützen. Ohne friedensethische Überzeugungen wäre weder das Völkerrecht entstanden noch Strukturen wie die Vereinten Nationen. Die Alternative ist ein neuer Rüstungswettlauf, der über die Drohnentechnologie und die Modernisierung der Atomwaffen ohnehin schon im Gang ist. Die Alternative zu friedensethischen Überzeugungen ist die Selbstvernichtung der Menschheit.

entnommen aus: FR-online vom 24.10.2022

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Wiltrud Rösch-Metzler ist Diözesanvorsitzende der Organisation Pax Christi für Rottenburg-Stuttgart, Co-Sprecherin der Kooperation für den Frieden und Redakteurin der Ökumenischen FriedensDekade

 

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