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16. Mai 2017

Streit! – Klar positionieren und die demokratische Kultur fördern

Impulstext von Jan Gildemeister (AGDF), unter Beteiligung des Vorstandes der AGDF

Viele sind erschrocken über die Entwicklungen in den letzten Jahren: In der öffentlichen politischen Debatte und im Internet werden Menschen verunglimpft. Wer sich für Geflüchtete und Migrant/innen einsetzt, wird verunglimpft, manchmal auch persönlich bedroht. Es werden Lügen verbreitet und gut recherchierende Medien als “Lügenpresse” beschimpft. Rechtsradikale und Islamisten schrecken nicht vor Anschlägen gegen Menschen zurück. Kurz: Die Würde und Unverletzbarkeit von Menschen, von bestimmten Menschengruppen, wird offen in Frage gestellt. Dies geht an den Kern unserer Demokratie.

(Nicht nur) Christinnen und Christen sollten angesichts dieser Situation dem Ruf des Propheten Jeremia folgen, Recht und Gerechtigkeit zu schaffen (vgl. die biblische Bezugsstelle zum Motto: Jeremia 22,1-5). Es gilt klar Position zu beziehen, Partei zu ergreifen für die Opfer, die Schwächeren und die Menschenrechte. Und zugleich sollten wir uns fragen, was wir selbst dazu beitragen, dass Rechtspopulismus und Gewalt solchen Einfluss in Deutschland gewinnen konnten: Wann haben wir geschwiegen, wenn andere zu Unrecht beschimpft, herabgewürdigt wurden? Wann haben wir denen die öffentliche “Bühne” überlassen, die zu Gewalt gegenüber Fremden auffordern? Wann haben wir weggeschaut, wenn das Asylrecht erneut verschärft oder der militärische Schutz der EU-Außengrenzen verstärkt wurde?

Das Motto der diesjährigen Ökumenischen FriedensDekade “Streit!” fordert auf, meinungsbildend in die öffentliche Debatte einzugreifen. Es gilt – in Nachfolge Jesus Christus -, sich klar und offensiv vor bzw. auf die Seite der Schwachen zu stellen, Unrecht anzuprangern, Lügen aufzudecken und gegen den Abbau von Menschenrechten in Deutschland zu protestieren. .

Zugleich stehen wir vor der großen Herausforderung, in unserer Gesellschaft Gräben zu überwinden, Bedingungen für eine demokratische Streitkultur zu schaffen, die niemanden abhängt und ausgrenzt, und bei der es um eine konstruktive Lösung der vor uns stehenden Probleme geht. Notwendig ist eine inklusive, demokratische, gewaltfreie Debattenkultur, in der alle Meinungen ernst genommen werden, solange sie nicht den Diskurs dazu instrumentalisieren, Menschenfeindliche Positionen zu verbreiten und die Demokratie zu schwächen. Hierzu passt die zweite biblische Bezugsstelle zum Motto, die Ermutigung Jesu an seine Freundinnen und Freunde: „Wer bei Euch groß sein will, der soll euer Diener sein.“ (siehe die biblische Bezugsstelle zum Motto: Matthäus 20, 20 – 28).

Die Überwindung von Gräbern durch eine demokratische Streitkultur ist umso schwieriger, weil wir in “Parallelgesellschaften” leben, die kaum miteinander im Dialog sind. Hinzu kommt, dass die Informationsbeschaffung immer differenzierter und schwieriger wird: Qualitätsjournalismus leidet unter Einsparungen und wird von Teilen der Bevölkerung diffamiert und Nachrichten im Internet werden i.d.R. nicht überprüft, erweisen sich häufig als “Fake-news”. Die letzte Wahl in den USA zeigt, dass sich angesichts der Transparenz auch Personen-bezogener Daten, die bspw. durch Recherchen im Internet erschlossen werden können, ein Wahlerfolg auch  gezielt beeinflusst werden kann. Wie sollen politische Debatten geführt werden, wenn Positionen auf “post-faktischen” Behauptungen fußen? Hinzu kommt, dass laut einer Emnid Umfrage im Auftrag von “chrismon”, 29% der Deutschen nach eigener Angabe in der Politik nichts versteht.

Es gibt aber auch genügend objektive Gründe, warum Menschen mit der aktuellen Politik nicht zufrieden sein können: wachsende Ungerechtigkeit. vernachlässigte Zukunftsprobleme wie der Klimawandel, eine Macht- und egoistische Interessenpolitik, immer mehr Geld für Rüstung und Militäreinsätze, eine Handels- und Finanzpolitik, die Fluchtursachen anheizt, statt sie zu bekämpfen …. Auch hier sind wir angewiesen, auf eine breite gesellschaftspolitische Suche nach (neuen) Lösungswegen, brauchen Fantasie und wohl auch neue Argumente und Begriffe.

Worauf kommt es also in Zukunft an: Wer angesichts der gesellschaftlichen Lage weg- oder zuschaut, macht sich auch schuldig. Das Motto der Friedensdekade 2017 fordert heraus, nicht passiv zu sein, sondern für Demokratie und Menschenwürde konstruktiv, entschieden und gewaltfrei zu streiten. Wir müssen unsere Argumente verständlich vermitteln, ohne die Komplexität der Realität zu vernachlässigen und unzulässig zu vereinfachen. Die Bedenken und Ängste von Menschen müssen ernst genommen werden. Wir brauchen eine kreative Lösungssuche für die existierenden gesellschaftspolitischen Probleme. Die Friedensbildungsarbeit muss massiv ausgebaut und auf eine breitere Basis gestellt werden. Die Bemühungen u.a. von AGDF-Mitgliedsorganisationen, Methoden in Ziviler Konfliktbearbeitung verstärkt in Deutschland an Orten einzusetzen, wo sich Konflikte abzeichnen oder bereits virulent sind, brauchen staatliche und auch kirchliche Unterstützung. Und schließlich brauchen wir mehr persönliche Begegnungen, sei es durch Internationale Freiwilligendienste, Workcamps, Jugendbegegnungen oder schlicht im Alltag. Erzählungen von Menschen mit anderem kulturellen und religiösen Hintergrund fördern, dass wir beispielsweise Geflüchtete nicht als Zahl, sondern als Menschen wahrnehmen und ihnen gegenüber barmherzig werden. Damit dies gelingt, bedarf es breiter Kooperationen, auch mit Organisationen, die nicht die Mehrheitsgesellschaft repräsentieren wie Selbstorganisationen von “schwarzen Deutschen”, Migrant/innen und derjenigen, die zu uns Geflüchtet sind.

Jan Gildemeister ist Geschäftsführer der AGDF

(Der Impulstext wird veröffentlicht in: Handreichung für Kirchengemeinden zu Friedensdekade 2017 der AGDF

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